[Diese einst erste (und seitdem unveränderte) Webseite ist vom 15.02.2016, gefolgt von der Wiedergabe meiner zuvor am 04.02.2016 frei gehaltenen Rede anläßlich der Kandidatenvorstellung zur Wahl um das Amt des Bürgermeisters oder auch der Bürgermeisterin am 21.02.2016 in der Großsporthalle am Sundweg der Stadt Heiligenhafen. Bald vier Jahre alt, und doch auch 2019/2020 unverändert aktuell…]
Mit meiner ersten Kandidatur in jenem Jahr konnte ich den Wählern wie auch der damals unfair gegen den amtierenden Bürgermeister Anders agierenden CDU zeigen, dass der Wähler über Kandidaten aus der eigenen Mitte durchaus Einfluss im Interesse einer wahrhaftigen Partizipation nehmen kann – und das auch tun sollte. Die tonangebenden Parteien hatten unabhängige Herausforderer nicht ernsthaft im Blick, und auch die Bevölkerung konnte sich noch nicht wirklich an den Gedanken gewöhnen, über das veränderte Wahlverfahren selbst wieder ein Stück mehr Entscheidungshoheit über die eigenen Angelegenheiten zu erlangen. Das resultierte aus sich verändernder Interpretation des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, und es dauerte lange in der Umsetzung dieser politischen Aufgabe in den abgeleiteten Ebenen…
Die großen Volksparteien haben zunehmend an genereller Akzeptanz verloren, was in einer unübersichtlicheren und von zahlreichen asymmetrischen Konflikten wie auch globalen Umwälzungen belasteten Welt ja auch nicht verwunderlich ist. Denn: Wenn es schon auf nationaler Ebene kaum mehr Raum für weltanschaulischen Richtungsstreit zu geben scheint, geht es auf der untersten, der kommunalen Ebene nur noch in Nuancen um prinzipielle Fragen der Politik. Nicht dass wir im Kleinen wie auch im Großen aufhören über das, was die Menschheit hier auf Erden treibt, nachzudenken. Aber es bleibt uns hier auf kleinstädtischer Ebene nur, kreativ im gemeinsamen Finden guter Lösungen und effektiver Wege unser unmittelbares Umfeld zu gestalten. Dieser eigentlich eher pessimistische Blick bietet zugleich doch auch die Chance, diese Aufgabe offen anzunehmen und somit bestmöglich zu bewältigen. Im Weg steht nach meinem Verständnis dabei ein überholter Anspruch der auf den höheren Ebenen mit Verfassungsrang legitimierten Parteien, zum Teil doch antiquierte Machtvorstellungen als politische Willensbildung auszugeben und das bis in ein Stadtparlament hinein durchzureiten.
Das ist ein Problem des inneren Selbstverständnisses der Volksparteien alten Schlages, und führt im Ergebnis zu unangebrachten Verhärtungen, für die es wenigstens auf kommunaler Ebene nicht wirklich Platz gibt. Ja, die Parteien oder etliche von deren Berufspolitikern scheinen dem Wähler zu mißtrauen, halten ihn zuweilen in der Breite nicht für fähig, zur Gestaltung unserer Gesellschaft im politischen Raum selbst nur auf unterster Ebene beizutragen. Der scheinbare Ausweg, den eigenen Machtanspruch bis hinunter zur rein lokalen Ebene zu sichern ist in den letzten Jahren, sich bei Kommunal- oder Bürgermeisterwahlen zu verstecken, für den arglosen Wähler „unsichtbar“ zu machen, mit vorgeblich unabhängigen, parteilosen Kandidaten anzutreten. Ich denke, so kommen wir nicht nachhaltig in der Bewältigung unserer Aufgaben und Probleme voran, weshalb ich mit meiner erneuten Kandidatur eine Alternative im konstruktiven Sinne aufzeigen möchte. Getragen von einer über Jahrzehnte trotz streckenweise aufgekommener Zweifel gewachsenen demokratischen Grundüberzeugung stelle ich mich also Ihrer Wahl am 21. Februar 2016. Zu meiner Freude hat mir eine aufmerksame, interessierte Bürgerin eine spontan mit dem smartphone vorgenommene Aufgezeichnung meiner Vorstellungsrede anläßlich der von der Stadt Heiligenhafen organisierten öffentlichen Kandidatenvorstellung am 04. Februar 2016 übergeben. Da meine Rede zuvor weder schriftlich vorgefasst noch irgendwie eingeübt oder antrainiert war, und ich die sich natürlich im Kopf heranreifende Idee noch unmittelbar auf dem Weg vom Nebengebäude [in dem die übrigen Kandidaten jeweils „weggesperrt“ waren wenn eine(r) gerade am Rednerpult in der Großsporthalle stand] hin zur Rednerbühne vollständig „über den Haufen warf“, weil der „Bürgermeistermacher Thies Thiessen“ […einfach mal googeln] mich noch nach der ersten Vorstellung aller Kandidaten draußen vor der Halle auf dem Weg zum „Wegsperr-Raum“ stellte und mit einem merkwürdigen Anwurf wohl aus der Reserve und dem inneren Gleichgewicht bringen wollte, hielt ich es für wichtiger, statt „über mich“ konkret über das zu besetzende Amt zu sprechen und über die Gefahr, dass maskierte politische Eiferer die Neutralität des Bürgermeisters ideologisch untergraben und das Amt für eigene Zwecke kapern. Den von der Videoaufzeichnung möglichst wortgetreu abgeschriebenen Text der gehaltenen Rede können Sie nachstehend lesen; die Videoaufzeichnung ist hoffentlich in ein für Sie geeignetes Format konvertiert und jedenfalls schon auf dem Server hinterlegt — zum „Nachhören“.
In der Anmoderation meiner Rede geht es zunächst ein wenig um die Wählergruppen, die sich für diesen fünften Kandidaten interessieren, und den Wahlkampf, der, so Boldt, ohne Wahlkampfteam oder Stand „mit angezogener Handbremse läuft“. Herr Carsten Kock von R.SH, der für die Stadt Heiligenhafen in der Großsporthalle die offizielle Vorstellung der fünf Kandidaten zur Wahl um das Amt des Bürgermeisters am 21.02.2016 leitet, nähert sich der Person des nach Losentscheid zuletzt auftretenden Kandidaten Niclas Boldt weiter über dessen Aussehen und Körpergröße, den großgewachsenen Moderator noch überragend:
Moderator Kock: So’n bißchen Lichtlein, ne? so!?
Kandidat Boldt: (… versteht die Frage des Moderators Kock offenbar [akustisch?] nicht )
Moderator Kock: Carsten Lichtlein, das ist der Handballtorwart. Kennen Sie den? Der ist genau so groß wie sie!
(Kock imitiert Abwehrbewegungen eines Handballtorwartes…)
Kandidat Boldt: Das ist doch einfach nur ein zufälliges Maß. Also in sofern beschreibt es den Menschen nicht…
Moderator Kock: Na, ok, dann sind wir schon mal beim Thema. (freut sich) Ich wußte, dass das kommt.. (schaut auf seine Karten…) Der letzte in der Runde. Der fünfte als Bewerber ist Niclas Boldt – schön, dass Sie da sind! Heute noch in der Zeitung, hier schon live auf der Bühne!
(…und gibt das Mikro frei für den fünften Kandidaten)
Kandidat Boldt: (…nimmt das Mikrophon aus der Halterung und setzt zur freien Rede an)
(Zum Publikum:)
Tja, guten Abend noch ‚mal!
(…spricht noch einmal in Richtung des Moderators:) Sie immer mit ihrer Zeitung… Ich verstehe das gar nicht. Das war die von gestern, und heute ist Donnerstag!
Die Zeitung von gestern interessiert doch gar nicht mehr.
(Boldt wendet sich wieder dem Publikum zu und beginnt mit seiner frei vorgetragenen Rede:)
Was interessiert ist die Wahl, die vor uns steht!
Die Frage ist also: Was soll meine Kandidatur?
1998 war ich schon mal dabei, da hatten wir eine Veränderung im Kommunalwahlrecht. Und zwar, bis dahin hatten wir eine Verfassung, wo die Bürgermeister eben nicht aus der Bevölkerung gewählt wurden. Das wurde verändert, und damals hatten wir die Situation, dass die Parteien sich darauf einstellen mußten, mit diesem Neuen umzugehen. Denn Sie, der Wähler, sind der Souverän! Das heißt, Sie wollten die Bürgermeister direkt wählen. Natürlich kommt das über die Schiene der Ebene der Landesregierung, Bundesregierung, alles, was damit zusammenhängt.
1998, wie gesagt, habe ich dann als zweiter Kandidat unabhängig meine Kandidatur betrieben, und… (Niclas Boldt hält kurz inne)
…ja, es ist aufregend, man macht das ja nicht jeden Tag…
Es war also in sofern interessant, dass erstmal geklärt werden mußte: Welche Rolle hat der Bürgermeister denn überhaupt?
Das ist kein politisches Amt.
Sie wählen also keinen Häuptling!
Sie wählen auch keinen Anführer, sondern den Leiter der Verwaltung!
Und die Verwaltung, die funktioniert in sich, in eigener Verantwortung.
Ein Bürgermeister muß nicht besser sein als jeder seiner Beamten. Diese sind Laufbahn-Beamte in eigener Ausildung, in eigenem Wissen und Können. Der Bürgermeister steht dazwischen.
Eine Verwaltung, die hat sagenhaft viele Gesetze und Bestimmungen zu berücksichtigen.
Da ist der Verband der Deutschen Städtestatistiker. Der hat 19.., nein, 2008 eine Zahl in der Welt gehabt, und zwar: 55.555 Gesetze und Verordnungen aus 1870 Gesetzeskatalogen muß eine Verwaltung umsetzen! Das ist dann nur die Bundesgesetzlichkeit.
Dann kommen Landesgesetze dazu (Das Reden macht den Mund trocken, die Stimme versagt kurz. Kandidat Boldt schaut sich suchend nach einem Glas Wasser um…)
Kein Wasser?! (Ein Hinweis, wo Wasser zu finden ist, kommt aus dem Off. Kandidat Boldt schenkt sich selbst ein Glas ein.)
— Nein, alles gut! Schlechte Planung, Entschuldigung! Wir sind alle Menschen! — (Wohlmeinender Applaus aus dem Publikum. Kandidat Boldt nimmt einen großen Schluck Wasser und wendet sich dem Publikum wieder zu.)
Also diese riesige Vielzahl von Gesetzen und Bestimmungen ist ungeheuer.
Das sind in der Summe über 120-, 130.000 Bestimmungen.
Da kommen noch EU- Gesetze mit hinein.
Da kommt natürlich Ortsrecht mit hinein.
Da kommen technische Bestimmungen mit hinein.
Nun kommt ’s: Wenn der Bürgermeister die Verwaltung nicht auch so stützt, dass es heißt: „Wir wollen nicht jede kleinste Regelung bis zum i-Tüpfelchen anwenden. Wir müssen mal sagen, wir tun das, weil es für die Menschen das Richtige ist, dann hat er das Kreuz zu haben, zu sagen: Liebe Verwaltung, das machen wir jetzt so! Und daraus machen wir einen vernünftigen Beschluss für die Politik, damit die Ehrenämtler im Kommunalparlament, dass die wirklich sagen können: Ja, das wollen wir! Bürgermeister, mit Verwaltung, setz‘ das um!“
Wir würden nicht mal mehr einen Kantstein versetzen können, wenn wir alles das, was es an Vorschriften gibt, umsetzen wollen.
Tatsächlich, auf der anderen Seite, muss der Bürgermeister auch dafür sorgen, dass alle die, die wirklich ihr Geld selbst verdienen müssen, auch faire Bedingungen vorfinden. Denn Verwaltung hat aus sich heraus die Aufgabe, das Geld, dass irgendwo herkommt, zu verteilen.
Aber auf der anderen Seite: Natürlich kommt das Geld über Steuergelder, über den Staat – das ist der Artikel 28 der Bundesverfassung –
… der Staat garantiert dafür, dass die Gemeinden ihre Eigenbestimmung und ihre eigenen Geschicke wirklich selbst leisten können. Aber sie werden dafür auch von den oberen Ebenen mit Geld ausgestattet.
Das müssen wir aber alles selbst organisieren! Das heißt, wenn sie jetzt am 21. Februar wählen, dann haben Sie jetzt nicht einen gewählt der das alles macht.
Im Gegenteil!
Sie haben jetzt erst mal einen, der Ihr Mittler ist, der für sie auch da ist, um alle Brücken zu bauen zwischen Politik, Verwaltung und eben den verschiedenen Beteiligten der anderen Ebenen. Das geht ja bis hin zur Feuerwehr! Ein Bürgermeister ist der Chef der Feuerwehr laut Landesgesetzgebung. Da sind schon ganz vielfältige Aufgaben dabei…
Und in diesem ganzen Spannungsfeld, wie gesagt, sind auch sie als Bürger gefordert:
- dass Sie dann später auch die Kommunalwahlen im Blick behalten,
- dass sie auch die Parteien stärken, dass Sie da hinein gehen,
- dass wirklich dann eine Zusammensetzung im Parlament ist die dann auch im Interesse aller Bürger handeln kann.
Denn: Die Parteien haben 1998 große Schwierigkeiten gehabt sich damit auseinanderzusetzen, dass auf einmal aus dem Kreis der Bevölkerung Kandidaten kommen.
Heute ist das so,
… versuchen die Parteien eigentlich den Wähler so’n bißchen zu betuppsen,
dass es heißt: „Ja, wir bleiben im Hintergrund, wir haben unabhängige Kandidaten.“
Was heißt „unabhängig“?
„Unabhängig“ heißt wirklich, dass man frei ist von politischen Bindungen
– schwierig zu machen…
Aber das ist eine Voraussetzung, denn der Bürgermeister unterliegt einem strikten Neutralitätsgebot: Er darf auch nicht ‚mal ein eigenes Programm haben!
Sondern er hat wirklich genau hinzuhören: „Was ist eben Wille der Bevölkerung?“
…und hat das in die Verwaltung hinein zu tragen,
…und mit seinen Beamten zusammen dann die Lösungen so auszuarbeiten, dass sie auch legal, wie gesagt, sind, und umgesetzt werden können.
Das heißt: Vielleicht haben wir alle…
– ich bin ja auch selbst Wähler– und das war das Motiv im Dezember: Ich war mir nicht klar, wen kann ich wählen? Was will ich dabei tun?
…und das ist mein Angebot an Sie alle, zu sagen: „Ja, wir haben eine Auswahl.“
Also, ich habe meine Wahl für mich getroffen. Ich weiß warum – und ich weiß, dass ich das ausfüllen kann! Da habe ich hier nicht den Platz, um das wirklich weit auszubreiten… Aber auf der anderen Seite: Ja! Woanders wird wirklich gekämpft, dafür, daß wir wählen können und wählen dürfen! Das sollten wir uns alle vor Augen halten.
Aber nun geht das weiter:
Wenn, wie gesagt, der Bürgermeister in seinem Treiben, in seinem Amt, neutral, zugunsten aller, Brücken zu bauen hat, dann muss er auch neutral sein!
Und es kann nicht sein – dass ist das, was mich wirklich umtreibt aktuell, und seit gestern hab‘ ich meine Meinung da noch sehr verändert – es kann nicht sein, dass versucht wird dieses Amt irgendwie zu kapern! Das habe ich gestern im Stadtparlament gehört, dass es heißt: „Wir werden alles tun und einsetzen und jedes Mittel des politischen Kampfes benutzen, um unsere Kandidatin – ich sage das hier klar – dahin zu bringen, wo wir sie haben wollen.“
Diese Härte des politischen Kampfes habe ich zuletzt vor 30 Jahren an der Uni gehört. Da haben sich verschiedene Studentengruppen, marxistische wie auch ganz andere, wirklich dermaßen hart beharkt, dass es wirklich nur noch für alle Trümmer und Splitter gibt.
Und da bitte ich Sie alle ganz genau hinzuschauen.
Denn: egal was passiert, welche Prozesse in der Politik sind, wie sich das Parlament zusammensetzt… …das ist das eine; aber der Bürgermeister hat nicht in irgendeiner Form eine besondere Bindung zu einer politischen Gruppe zu haben!
Es geht hier auch nicht um Weltanschauungen!
Ja?! Das ist überhaupt nicht das Thema…
Wir wissen alle, was in der Welt passiert, und wir würden auch gerne das, was schön ist, so behalten. Dass es so bleibt. Aber machen wir uns nichts vor, die große Welt schlägt bis zu uns hier durch, ja?! Das macht uns gewiß auch Sorgen und Angst!
Aber, das ist genau der Punkt! Da steht auch der Bürgermeister und muß auch Sie annehmen können.
Das heißt, wenn sie Sorgen haben, dann müssen sie sagen: „Jetzt treibt mich das um. Ich geh‘ da mit hinein!“ Mit der Stimme…, also mit der Wahl…, die Stimme abzugeben und dann zu schweigen, das macht sie nicht glücklich. Wie wir da mal hinkommen, das ist schwierig und das gelingt leider den Parteien nicht…
Dieses: „Mehr Demokratie wagen!“ – Oft gehört! Aber die Parteien öffnen sich nicht, sondern sie versuchen ihre Macht zu verteidigen mit allen Mitteln und Tricks, …, und schauen sie da genau hin; weil…: da bleibt unsere Demokratie auf der Strecke!
Wir können nur die Geschicke unserer Gemeinde wirklich erfolgreich gestalten, wenn wir unabhängig von irgendwelchen harten Fronten, die wir aufbauen, miteinander im Gespräch sind. Wie uns das gelingt? Das ist eine Übung wo wir auch immer wieder neu aufstehen und anfangen müssen, ja?!
Und dafür will ich mich einsetzen, dass wir wirklich eine offene, gelebte Demokratie haben, die diesen Namen verdient. Und da muß der Bürgermeister allen zuarbeiten!
Ich danke erstmal soweit für ihr Gehör.
(Applaus, Kandidat Boldt verneigt sich vor dem Auditorium)
Moderator Kock (vergnügt): Ich korrigiere noch ‚mal und merke gerade: Eine AVIA-Tankstelle in Heiligenhafen hat mich beschissen und hat mir eine Zeitung von gestern für ’ne Zeitung von heute verkauft. Auch daran sollte der Bürgermeister arbeiten; das geht so gar nicht! (Beifall und Lachen im Publikum)
Kandidat Boldt: (möchte nach dem Mikro greifen, doch der Moderator Kock spinnt seinen Faden gekonnt weiter…)
Moderator Kock: Ich hab‘ Sie schon gleich neben mir postiert. Obama wäre neidisch um Sie, weil, der hat immer dieses „wo guck ich hin, wo guck ich hin“, der konnte immer alles lesen. Sie haben das frei gemacht. Also keiner hat was gesehen. Sie haben das in sieben Minuten frei vorgetragen, ohne Manuskript. Da würden sich einige wünschen, so frei sprechen zu können…
Ich habe trotzdem auch alle anderen Kandidaten gefragt, wie gehen Sie mit so einem Begriff um, wo wir immer fragen, was ist für Sie denn „Heimat“? Ist Heimat irgendwo hin kommen und sich wohl fühlen, ist Heimat irgendwie ’ne Wurzel zu haben, ist Heimat da…
Also meine Mutter ist neunzig, die wohnt in Leck.
Ich weiß nicht ob da meine Heimat ist, aber es ist wohl so’n Ding zu sagen, man kommt irgendwie nach hause…
Wo ist für Sie „Heimat“?
(Boldt will nach dem vorgehaltenen Mikro des Moderators greifen, Kock zieht zurück und sagt: „Ich halt’s fest“. Vergnügen im Publikum…)
Kandidat Boldt: Ich will da ‚mal einen Begriff dagegen stellen: Es heißt „Familie hat man – Freunde kann man sich aussuchen!“
Also Heimat ist wirklich da, wo ich einen Ruhepol finde, wo ich mit Menschen, mit guten Menschen die mit mir gern auch zusammen sein wollen, wirklich ein gutes Leben auch führen kann. Und das kann sich ändern. Der eine muß in seinem Leben vielleicht dauernd hin- und herziehen, ein anderer muß von heut‘ auf nun seine Heimat verlassen weil auf ihn geschossen wird, ja? Der verliert seine Heimat.
Aber „Heimat verlieren“ ist auch ein Prozeß! Zum Beispiel dadurch, dass man älter wird. Jetzt schon ist meine Welt nicht mehr die, die ich als Kind kannte. Das heißt, allein dadurch verändert sich Heimat, ich verliere sie auch. Ich muß sie also immer wieder auch neu finden.
Moderator Kock: Können Sie als Bürgermeister auch jemandem Heimat bieten oder schaffen?
Kandidat Boldt: Das ist schwierig… Also der Bürgermeister sagt …
(hier bricht die unvermutet zugegangene Smartphone-Videoaufzeichnung ab…)
(…und wird wie nachstehend aus der Erinnerung Boldts sinngemäß vervollständigt:)
…zu den zu uns kommenden Menschen nicht, hier ist nun ihre neue Heimat. Er kann höchstens dafür eintreten, dass wir hier Bedingungen schaffen die den Menschen überhaupt die Chance bietet, hier anzukommen – wenn es denn gewollt ist und gesucht wird.
05.12.2019:
Es hat sich offenbar schnell herumgesprochen, dass ich in der laut amtlicher Bekanntmachung vom 02.12.2019 bereits zum 08. März 2020 anstehenden Wahl nach 1998 und 2016 erneut um das Amt des Bürgermeisters meiner Geburtsstadt Heiligenhafen kandidieren möchte. Ich werde das entschlossen, aber auch in reflektierendem Respekt und Erinnerung an den über 15 Jahre dieses Amt bekleidenden Herrn Bürgermeister Heiko Müller tun, der unvermittelt am 30.10.2019 aus dem Amt und seinem Leben gerissen wurde.
Noch am frühen Abend vor dieser jähen Zäsur traf ich unseren langjährigen, meist sehr präsenten Bürgermeister und bin heute froh, nicht nur im Vorbeigehen gegrüßt, sondern vielmehr noch eine kurze Weile mit ihm wirklich gesprochen und auch das Gute Wort gefunden zu haben. Er schilderte mir persönlich offen eine durchaus beladene zurückliegende Zeit, in der er wiederholt schon nicht seinen Amtsgeschäften nachgehen konnte und vom Ersten Stadtrat vertreten wurde. Darin hatte er mein ehrliches Mitgefühl.
An besagtem Mittwoch plante Herr Bürgermeister Müller, sich auf den Weg ins Rathaus zu machen, doch dazu kam er nicht mehr.
…
Es gab in hoffentlich zurückbleibender Zeit nicht wenige Stimmen, die aus einer anderen Erwartung an das Amt als Organ der Gemeindeordnung den maßvollen Ton einer sachbezogenen Auseinandersetzung nicht mehr so recht fanden und durchaus auf den Menschen zielten, der auch ein Bürgermeister doch immer war und ist. Selbst habe ich Herrn Müller eigentlich nur in Verbindung mit Wahlgeschehen und Amtsgeschäften erlebt. Dabei fanden wir selbst im Wahlkampf 2016 durchaus als Konkurrenten eine freundliche und offene Gesprächsebene, auch wenn wir im Verständnis um das Profil des Bürgermeisteramtes selbst gewiss unterschiedlicher Auffassung waren. Auch in einem konkreten lokalpolitischen Ansatz kamen wir nicht überein.
Und doch: Im Nachhinein betrachtet gab mir Herr Müller fast so etwas wie einen Auftrag mit auf den Weg. Als ich ihm gegenüber das Bild bemühte, seine „Crew im Rathaus wartet wohl, dass der Käpt’n die Brücke wieder einnimmt“, erwiderte Heiko mit einem verschmitzten Lächeln: „Solange wenigstens einer so wie du, Niclas, genau hinschaut, kann die Politik nicht machen was sie will!“
Das kann niemand.